Unworte und ihre GB-Folgen

Das Forum mit Niveau.

Moderatoren: hessen-wohin, General Amnestie

Benutzeravatar
Quodlibet
Beiträge: 510
Registriert: Mi Jun 12, 2002 5:42 pm
Wohnort: Beichtstuhl

Beitrag von Quodlibet »

wenn ich mein leicht verstaubtes germanistenwissen in die runde werfen darf, um die diskussion völlig zu verwirren: oft besteht eine erhebliche diskrepanz zwischen dem alltagssprachgebrauch und der bedeutung desselben rems in einer fachsprache: hierzu ein makabres beispiel (das ist immer am anschaulichsten):
verwesen/verfaulen

während oma fest der meinung ist, ihr längst verblichener gatte verwese in seinem grabe, meint der biologe, er verfault dort, da zur verwesung per definition die luft gehört, die 2m unter der erde nur spärlich vorhanden ist. nun wird selbst der abgebrühteste biologe es nicht wagen, oma ins gesicht zu schreien: sie unwissenschaftliche person, der alte verfault in seiner gruft, wenn sie möchten, daß er verwest, lassen sie das grab geöffnet!

das wäre wohl wissenschaftlich korrekt, aber im mindesten pietätlos vom akademiker...
Benutzeravatar
PanAM
Beiträge: 147
Registriert: So Mai 11, 2003 10:16 pm
Wohnort: Poolbar, Prestige-Club

Beitrag von PanAM »

Sehr schön Quodlibet, das war in der Tat sehr unterhaltsam und zugleich sehr hilfreich für mich. Denn ich werde Mugabes Wortschatz anno 1393 nicht weiter verwirren wollen. Wie sie schon richtig gesagt haben. Es wäre wissenschaftlich korrekt, aber im mindesten pietätlos vom Akademiker.
The torch that I hold, is always a-flame
I'm still in love with Emily Kane
I hope this song finds you fame
I want schoolkids on buses singing your name
Robert Mugabe
Beiträge: 298
Registriert: Mo Mai 06, 2002 10:28 pm
Wohnort: Karlsruhe
Kontaktdaten:

Beitrag von Robert Mugabe »

Nun kommen Sie schon, PanAM. Irgend etwas müssen Sie sich doch gedacht haben. Was genau ist denn nun aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht so verwerflich am alltagssprachlichen Gebrauch von <i>Unkosten</i>?
- Quodlibets Beispiel besagt ja nicht, daß für den Biologen die alltagssprachliche Verwendung von <i>verwesen</i> verwerflich ist (ganz abgesehen davon, daß ja ohnehin eine Wissenschaft, die für den Eigengebrauch ein Wort neu und anders definiert, anschließend schlecht daherkommen kann und sagen: die bisherige Verwendung ist ab jetzt falsch. Die Alltagssprache war zuerst da und hat also auch die älteren Rechte).
Crank

Beitrag von Crank »

@Robert Mugabe

Das sind wahre Worte. Aber:

Das Wort "Unkosten" zu gebrauchen ist deswegen problematisch, weil es im Grunde fast das selbe Wort ist wie "Kosten", ergänzt durch den präfix "Un-". Und dessen Zweck ist eben, per se und in Kombination mit "Kosten" nicht so ganz eindeutig (vielleicht im Duden aber nicht in den Köpfen der Leute).
Diese Ambivalenz führt dann wiederum zu Diskussionen wie dieser hier. Und da liegt die Schwierigkeit.
Benutzeravatar
Malimarc
Beiträge: 301
Registriert: Do Mai 23, 2002 11:48 pm
Wohnort: ja
Kontaktdaten:

Beitrag von Malimarc »

Hilfreich waere es, wenn die Herren und Damen Diskutanten den schon oben erwaehnten Taz-Artikel (Hier nochmal die URL: http://www.taz.de/pt/2003/05/24.nf/magT ... e,lf.idx,2 ) sich zu Gemuete fuehren sollten, da er doch einige interessante Aspekte einerseits und einige hier schon erwaehnte Beitraege andererseits enthaelt. Die dort gesammelten Meinungen und Beitraege zeigen anschaulich bereits eine erstaunliche Diversitaet an Erklaerungen.

Es waere moeglicherweise interessanter diesen Taz-Artikel zu diskutieren, als das "Rad neu zu erfinden".
Benutzeravatar
Da lacht die Koralle
Beiträge: 228
Registriert: Mo Mai 20, 2002 1:35 pm
Wohnort: im hier und jetzt

Beitrag von Da lacht die Koralle »

Malimarc hat geschrieben: Es waere moeglicherweise interessanter diesen Taz-Artikel zu diskutieren, als das "Rad neu zu erfinden".
Lieber Malimarc,

man muss die „Leute dort abholen, wo sie stehen“, deshalb sollte hier einfach drauflos diskutiert werden.

Erlauben Sie mir einen kleinen Schwenker in der Frage verfaulen vs. verwesen: hier bitte einmal die neueste Diskussion zu Wachsleichen verfolgen.

Gruß
K.
so oder so
Benutzeravatar
herr mattes
Beiträge: 192
Registriert: Fr Mär 21, 2003 9:57 pm
Wohnort: da oben

Beitrag von herr mattes »

Mal was anderes im Zusammenhang mit Unwörtern:

Erinnert sich noch jemand an die Aktion von Liptonice und dem Duden ein Wort für den Zustand "nicht mehr durstig" (so wie "satt" für "nicht mehr hungrig") zu finden?

Die Wahl fiel dann auf "sitt" (siehe auch hier)

Hätte man nicht lieber zwei Fliegen mit acht Klappen schlagen können und endlich ein Wort schöpfen sollen das sich auf "Mensch" reimt?

hm
Signatur de France
Benutzeravatar
jugend-musiziert
Beiträge: 335
Registriert: Mo Mär 31, 2003 9:32 pm
Kontaktdaten:

Beitrag von jugend-musiziert »

"Das muss nun die Sprachgemeinschaft entscheiden."
Wie schön! Dann wird man auch in 100 Jahren sein "sitt sein" durch ein blößes Rülpsen ohne weitere Bemerkung kund tun.

Putzig fand ich in der damaligen Diskussion auch den Vorschlag "natt". "nass" plus "satt" ergibt "natt", ist das nicht allerliebst?

Böörp,

jugend-musiziert
Benutzeravatar
Quodlibet
Beiträge: 510
Registriert: Mi Jun 12, 2002 5:42 pm
Wohnort: Beichtstuhl

Beitrag von Quodlibet »

Ach herrje! Ganz wie Mugabe befürchtete; sie sind völlig undisziplinert, denken nur ans Saufen oder gar Wasserleichen (werter Koralle, sie vergaßen, den Link zu setzen). Aufsatzthema ist jedoch "Unkosten - Unwort oder unsittlich, den Gebrauch desselben zu geißeln?"
Also, nochmal in die Bücher geschaut und einen neuen Anlauf gewagt.

(Es war übrigens sehr nervenaufreibend, obigen Disput aus dem Gästebuch hierher zu verfrachten, also honorieren sie diese Anstrengung durch eine rege Beteiligung)

Auf dem Weg zum Biergarten

Q.
Benutzeravatar
Da lacht die Koralle
Beiträge: 228
Registriert: Mo Mai 20, 2002 1:35 pm
Wohnort: im hier und jetzt

Beitrag von Da lacht die Koralle »

Lieber Quodlibet,

ich setzte mit Absicht keinen Link, da eine Diskussion nur allzu leicht aus dem Ruder laufen kann. Sie verwiesen bereits darauf. Wer Interesse an unzureichender Verwesung und den Folgen hat, der möge „Wasserleichen“ mal durchgooglen. Ansonsten ist mir die Diskussion hier, man möge mir verzeihen, ziemlich wurscht, so dass sich eine weitere Beteiligung erübrigt.

Geste Grüße
K.
so oder so
Benutzeravatar
Da lacht die Koralle
Beiträge: 228
Registriert: Mo Mai 20, 2002 1:35 pm
Wohnort: im hier und jetzt

Beitrag von Da lacht die Koralle »

Quodlibet hat geschrieben:
Auf dem Weg zum Biergarten

Q.
Ich hoffe, dass Sie sich auf dem Weg in einen bayerischen Biergarten befinden. Andernfalls wäre diese Bemerkung eine Anmaßung! Jetzt ist es auch für mich mal Zeit so ein Ding zu setzen: :wink:

Prost
K.
so oder so
Benutzeravatar
hessen-oberverdachtsschöp
Beiträge: 19
Registriert: Di Mai 14, 2002 12:41 am
Wohnort: geheim
Kontaktdaten:

Beitrag von hessen-oberverdachtsschöp »

Malimarc hat geschrieben:Es waere moeglicherweise interessanter diesen Taz-Artikel zu diskutieren, als das "Rad neu zu erfinden".
Hmm, sehr seltsam, was Sie da vorschlagen. Anstatt über "Unkosten" sollen wir lieber über den Unsinn, den Taz-Leser zu "Unkosten" zu sagen haben, diskutieren? Eine Sekundärdiskussion? Wollen Sie etwa damit andeuten, die Taz-Leser hätten Wertvolleres zum Thema beizutragen als wir?
Übrigens haben sie mit keinem Wort angedeutet, auf welcher Seite Sie stehen. Sind Sie für die Verwendung von "Unkosten" oder dagegen? Das gilt auch für die Herren Koralle und Mattes - ein durchmogeln gibt es hier nicht: jeder, der in diesem Strang postet, muss klar Position beziehen!
mein Name ist übrigens hessen-oberverdachtsschöpfer,
wieso werden hier die letzten 3 Buchstaben abgeschnitten, eine Frechheit ist das!
Benutzeravatar
jugend-musiziert
Beiträge: 335
Registriert: Mo Mär 31, 2003 9:32 pm
Kontaktdaten:

Beitrag von jugend-musiziert »

Wenngleich ohne persönliche Positionierung, so war Herr Mattes' Beitrag so off-topic nicht. "Wie kommen die Leute darauf..." lautete die Eingangsfrage dieses Strangs. Nun: Man erteilt Ihnen sozusagen die Lizenz. Hinten und vorne soll "die Sprachgemeinschaft entscheiden". Ob sie darauf Lust hat, sich befähigt fühlt etc. ist sowohl der Duden-Redaktion als auch SAT 1 ziemlich egal.

So kommt es, dass ein Häuflein Sprachbegeisterter sich kluge Gedanken macht, sich in Kritik übt und Gegenvorschläge entwirft, während ein lieb gemeintes, naives und etwas lächerliches Pflänzlein wie "sitt" verkümmert und die "Unkosten" wachsen und gedeihen. Absurd.
Was wir brauchen sind gesetzlich verbindliche Sprachregelungen. Oder eine andere "Sprachgemeinschaft". Und mehr Redeverbote. Basta.

Jetzt bitte weitermachen, die Herren Linguisten!

jugend-musiziert
Benutzeravatar
hessen-wohin
Abschnittsbevollmächtigter
Beiträge: 949
Registriert: Fr Mai 03, 2002 10:32 pm
Wohnort: tel-aviv oder wie das heisst
Kontaktdaten:

Beitrag von hessen-wohin »

Das ist der Punkt! Wer entscheidet, was ein Wort bedeutet? Wie ich es schon vor längerer Zeit an einer anderen Stelle gesagt habe, halte ich es für eine Illusion zu glauben, jedem Wort könne man eine exakt umrissene Bedeutung zuordnen. Deutsches Wörterbuch sagt, Unkosten wären "(unvorhergesehene) Auslagen", mein dtv-Lexikon aus den 60-er "Kosten, die dem Einzelerzeugnis nicht direkt zugerechnet werden können", Frank N. hält sie für "extraordinär über das Normalmaß angewachsene" Kosten, noch jemand für "unangenehme" Kosten. Die Bedeutung ist also nicht so leicht auszumachen und ehrlich gesagt scheinen mir alle diese Definitionen nicht falsch. Eins ist aber m.E. klar: nämlich dass es einen Bedeutungsunterschied zwischen Kosten und Unkosten gibt, die berüchtigte différance (Derrida). Meine Meinung: während "Kosten" ein nüchternes Wort ist, sind "Unkosten" viel emotionaler besetzt, und zwar negativ. Kein Wunder also, dass man als trockener Wirtschaftswissenschaftler den Unkosten keinen Platz in seinem Sprachschatz einräumen will. Aber in der Alltagssprache? Wollen wir dort auf dieses Mehr an Gefühl verzichten?
Hiermit fordere ich deswegen alle auf, das Wort "Unkosten" ausgiebigst und auch in unangebrachten Situationen (VWL-Prüfung) einzusetzen. Gegen die Gefühllosigkeit in der Sprache!
Benutzeravatar
Belle Tristik
Beiträge: 48
Registriert: Mi Jul 02, 2003 12:18 pm
Wohnort: Büchse der Pandora

Beitrag von Belle Tristik »

Das ist eine schöne These, Herr Hessen. "Unkosten" ist offenbar ein bisher nicht zur Gänze definierter Begriff. Dabei liegt seine negative Implikation auf der Hand. Auch die Redewendung "sich in Unkosten stürzen" weist darauf hin, dass der gemeine Sprecher (oder auch Journalist) den Begriff gerne da verwendet, wo Kosten unwillkommen sind. Da ließen sich bestimmt noch mehr Hinweise finden, aber ich bin noch jung und momentan zu faul zum Denken. [hier sollte jetzt ein Smiley stehen: :wink: ]

Sie sollten eine Petition starten und den Kollegen vom Duden mit dieser berechtigten Kritik so richtig auf die Nerven gehen. Meine Unterstützung haben Sie.

Bussi von der Belle
Antworten