Rechtschreibreform

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Gesprächstourist
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Beitrag von Gesprächstourist »

Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlichen Dank für die Aufklärung. Ich werde also mit dem Schriftproblem leben müssen... ich habe es jetzt in Netscape kopiert, eine andere Schrift gewählt, mal sehen, was passiert...

Sehr geehrter Herr Q.,
Yepp, ich hab's selbst überprüft Netscape® Communicator 4.75 setzt spätestens nach dem ersten Zitat die Standardschriftart ein. Vielleicht will das Programm mahnen: "Fasse Dich kurz!"?
Das ist unmöglich. Das würde mein Netscape 4.7 nie tun!!
Auch sind hier persönliche Bänder der Sympathie ohne Belang
Von wegen! Ich finde es zum Beispiel ganz allerliebst, wie Sie auf meine Frage geantwortet haben.
Auch wenn ich nicht "Abitur bin" (war das ironisch gemeint, Herr Tourist?),
Kann man das auch nicht-ironisch meinen? Es ist jedoch nicht auf meinem Mist gewachsen, ich habe es mal in einem Sketch (soviel ich weiß von Loriot) gehört, in dem ein Ruhrpottler interviewt
wurde.
so bevorzuge ich Lektüre in der Diktion der Zeit ihres Entstehens
... was im Fall der Nibelungensage, so man dazu tendieren sollte, enormen Spaß bereitet.
Nun aber zum Kern zurück!
Das möchten wir Leser uns aber auch ausgebeten haben.
Wenn schon diese kleine Diskussion so hitzig geführt wird, zeigt es doch, daß es hier um ein Kulturgut geht - die Sprache. Und die darf nicht von einer Handvoll von Beamten lieblos
verregelt und verwaltet werden,
Und eben darum, weil sie ein Kulturgut ist, bedarf sie der Pflege, die man auch Verwaltung nennen könnte. Und wenn ich auch noch so gegen Bürokratisierung (vor allem die lieblose!) eingestellt bin, so sehe ich mich der Gerechtigkeit halber genötigt, die Damen und Herren des IDS (Institut für deutsche Sprache/Mannheim) in Schutz zu nehmen. Nach meinen Erfahrungen besitzen sie eine Menge Fachwissen und sind dem von uns so beliebten Beamtentypus nicht zuzuordnen.
sondern bedarf der Obhut ihrer Anwender - oder doch derjenigen unter ihnen, die es für Wert erachten, sie zu pflegen (die Mehrheit schreibt nach wie vor wie es ihr beliebt).
Eben. Und daher taugt sie nicht zur Pflege. Denn eine Beliebigkeit kann nicht gepflegt werden.

Wie wollen Sie das Problem lösen? Ich allein, so fürchte ich, bin nicht in der Lage es zu tun. Mangels genügender Kompetenz.

Sie könnten es womöglich, haben aber keine Zeit, wie Sie sagen
Zurzeit - es schüttelt mich, das so zu lesen oder zu schreiben
Ich vermute, Sie würden sich wundern, wie schnell Sie sich speziell an die Schreibweise dieses
Wortes gewöhnt haben würden, wenn es Ihnen dann überhaupt noch auffiele. Oder schüttelt es Sie
auch, wenn Sie "stattdessen" lesen?

Mit freundlichen Grüßen

Ihr GT
Wer's nicht glaubt, wird selig
Gast

Beitrag von Gast »

Guten Abend,
Gesprächstourist hat geschrieben:
...Kann man das auch nicht-ironisch meinen? Es ist jedoch nicht auf meinem Mist gewachsen...
<zerknirscht> nun da bin ich Ihnen auf den Leim gegangen, auch muß ich zugeben, daß ich den Loriot nicht auswendig kenne. Deshalb war es ja auch eine schöne Gepflogenheit, Zitate als solche zu kennzeichnen, das scheint aber auch der Reform zum Opfer gefallen sein <zwinker>.
Gesprächstourist hat geschrieben: ... was im Fall der Nibelungensage, so man dazu tendieren sollte, enormen Spaß bereitet.
Nein ein Spaß ist es wohl nicht, aber wenn es um eine ernsthafte Beschäftigung mit einem mittelhochdeutschen Text geht, kommt man um die Originalfassung nicht umhin.
Für alle, denen das zu schwierig ist, gibt es ja die eine oder andere Verfilmung und vielleicht auch einen Comic?
Gesprächstourist hat geschrieben: ...Wie wollen Sie das Problem lösen? Ich allein, so fürchte ich, bin nicht in der Lage es zu tun. Mangels genügender Kompetenz.

Sie könnten es womöglich, haben aber keine Zeit, wie Sie sagen...
Wir diskutieren hier doch aber über die Rechtschreib r e f o r m , und da war das Institut für deutsche Sprache/Mannheim nur beteiligt, aber wohl nicht maßgebend, sondern ein die Öffentlichkeit scheuender Zirkel?
Dies ist um so ärgerlicher, weil die Chance, grundlegender Änderungen in der Normierung der Schriftsprache nur nach mehreren Jahrzehnten wieder gegeben sein wird, sich aber bis dahin alle danach richten sollen, was im Hinterzimmer beschlossen wurde.
Mir fehlt hier das demokratische Element.
zurzeit, stattdessen
Hmm, ist es aber nicht eine der neuen Regeln, die auf vermehrte Getrenntschreibung zielt?
Warum also hier willkürlich Wörter zusammenziehen?

Mit freundlichem Gruß

Ihr immer noch ratloser

Q.
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Saftpresse
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Beitrag von Saftpresse »

Ihr habt alle Zitieritis.
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Beitrag von Gesprächstourist »

Sehr geehrte Saftpresse,
Ihr
Wie
habt
kommen
alle
Sie
Zitieritis.
darauf?

Fragt GT.
Wer's nicht glaubt, wird selig
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Beitrag von Gesprächstourist »

Sehr geehrter Anonymous,

Deshalb war es ja auch eine schöne Gepflogenheit, Zitate als solche zu kennzeichnen, das scheint aber auch der Reform zum Opfer gefallen sein <zwinker>.
<zurückzwinker> Ich kenne eben den genauen Wortlaut nicht und auch nicht zuverlässig die Quelle. Und dann kann ich es nicht als Zitat kennzeichnen (alte RSR). Und überhaupt, wo kämen wir hin, wenn ich alles als Zitat auszeichnen würde, was nicht von mir ist? Da kann ich ja gleich alles in Anführungszeichen setzen!
Gesprächstourist hat geschrieben: ... was im Fall der Nibelungensage, so man dazu tendieren sollte, enormen Spaß bereitet.
Nein ein Spaß ist es wohl nicht, aber wenn es um eine ernsthafte Beschäftigung mit einem mittelhochdeutschen Text geht, kommt man um die Originalfassung nicht umhin.
Für alle, denen das zu schwierig ist, gibt es ja die eine oder andere Verfilmung und vielleicht auch einen Comic?
Na ja, wir wollen ja nicht gleich zum Äußersten greifen. Klar ist Quellenkunde wichtig. Aber im Normalfall reicht es einfach, einen Text der Klassik (so ich denn überhaupt einen lese) in der zeitgenössischen Transkription zu konsumieren. Ob das ß dabei früher sz und heute ss geschrieben wird, ist dabei nicht erhellend.
Wir diskutieren hier doch aber über die Rechtschreib r e f o r m , und da war das Institut für deutsche Sprache/Mannheim nur beteiligt, aber wohl nicht maßgebend, sondern ein die Öffentlichkeit scheuender Zirkel?
Ich bin nicht genügend informiert über die Interna bzgl. der RSR, aber ich weiß, dass sie (die IDS-Mitarbeiter/-innen) ihren Anteil daran hatten, und der war nicht klein.

Gleichzeitig finde ich, dass das Vorwort im 1996-er Duden das Dilemma der RSR-Einführung recht gut widerspiegelt: Es ist ein sehr ehrliches Kurzprotokoll einer Problematik, die damals durchaus gesehen wurde. Was polemisch war, war die Diskussion in Tageszeitungen, die zum Großteil von Redakteuren geführt wurde, die völlig uninformiert waren.
Dies ist um so ärgerlicher, weil die Chance, grundlegender Änderungen in der Normierung der Schriftsprache nur nach mehreren Jahrzehnten wieder gegeben sein wird, sich aber bis dahin alle danach richten sollen, was im Hinterzimmer beschlossen wurde.
Das ist mir, mit Verlaub, ein bisschen zu klischeehaft. Weil es so in der Tat nicht über die Bühne lief. Im Gegenteil, man muss eher sagen: Der Berg kreißte und gebar eine Maus. Hunderte von Fachleuten (da mögen durchaus auch Schwätzer und Wichtigtuer dabei gewesen sein, wie's halt so ist) haben eine Lösung gesucht, x-mal wurde ein Status Quo jedoch wieder verworfen. Und (was wirklich wichtig ist!) die Zwischenergebnisse wurden immer veröffentlicht, auch in diversen Tageszeitungen (ich habe dies seinerzeit immer wieder verfolgt!).

Kein Schwein (entschuldigen Sie!) hat sich dafür seinerzeit interessiert. Nicht die Bohne. Eine Handvoll Gegenpäpste haben gemault und gemeint, sie seien die wahren Rechtschreibreformer. Irgendwann, nach vielen Jahren Arbeit (sei sie in Ihren oder meinen Augen nun fruchtlos oder sinnvoll) war man an dem Punkt angekommen, einen Schlusspunkt setzen zu müssen. Schon aus ökonomischen Gründen. Und: Weil man einen neuen Status Quo benötigte, bevor die Amerikaner die deutsche Sprache sowieso abschaffen (Scherz!).

Und es vergingen keine drei Tage nach dem Beschluss, die RSR zu ratifizieren, da war das Geschrei zu hören! Von Leuten, die sich damit zuvor nie auseinandergesetzt hatten. Keine Ahnung von den Details hatten. Mit Argumenten und plakativen Widersinnigkeitsbeispielen kamen (viele davon stammten noch aus Entwürfen der ersten Fassungen!). Sie hatten sich nie damit auseinandergesetzt, waren aber hoch empört. Die Leute der verschiedenen Kommissionen waren übrigens darob sehr frustriert. Sie hatten öfters dazu aufgerufen, meinungen zu äußern. Es hat wirklich kaum jemanden interessiert.

Ich denke, man muss die Problematik einer solch komplexen Maßnahme einfach fair sehen. Wie gesagt, ich bin über das Ergebnis nicht erfreut, aber ich spreche den Beteiligten insgesamt nicht ab, dass sie das Bestmögliche versucht haben.
Mir fehlt hier das demokratische Element.
Ein bisschen Neueinführung geht einfach nicht. Und man kann den Duden auch nicht nach Umfrageergebnissen gestalten.

Außerdem: Was heißt "demokratisch"? Hätte man ein Plebiszit durchgeführt, wäre es bei der alten Regel sicherlich schon deshalb geblieben, weil 95 % die neuen gar nicht kennen gelernt ahtten und daher beurteilen konnten. Eine Handvoll interessierter Intellektueller diskutierte hitzig über das bevorstehende "Desaster".
zurzeit, stattdessen
Hmm, ist es aber nicht eine der neuen Regeln, die auf vermehrte Getrenntschreibung zielt?
Warum also hier willkürlich Wörter zusammenziehen?
Nein, das ist wirklich ein Irrtum (und lässt sich so auch nicht darstellen, es gibt sehr viele neue Zusammenschreibungen). Die neuen Regeln hatten die logische Nachvollziehbarkeit der Schreibweise zum Ziel. Es sollte eine Möglichkeit geschaffen werden, die in der alten Schreibweise bestehenden Ungereimtheiten und Unlogiken durch die Methode der Ableitbarkeit in den Griff zu bekommen. Auch Vereinheitlichung war angestrebt. Dies ist m.E. keineswegs gelungen.
Ihr immer noch ratloser
Leider kann ich keinen Trost spenden. Sie werden es (genauso wie ich) wohl noch längere Zeit bleiben. Ich hasse es auch, vermehrt in den Duden schauen zu müssen.

Ach ja, zum Schluss noch (man soll mir nicht vorwerfen, ich sei schreibfaul): Wer die Geschichte der RSR wirklich ernsthaft nachzuvollziehen versucht, wird an einem Problem nicht vorbeikommen, dem ökonomischen. Nachdem das Ganze so weit gediehen war, dass es absegnungsreif erschien (und, s.o., sich auch kein nennenswerter Widerspruch rührte), wurden flugs die erforderlichen neuen Regelwerke gedruckt – Duden, Wörterbücher, Lehrmittel, Standardwerke etc. Mag der Trubel für den Duden selbst und diverse Wörterbuchverlage ein warmer Regen gewesen sein (was ich bei all dem Aufwand bezweifle), so bahnten sich für die Schulbuchverlage bzw. Schulbehörden Katastrophen an. Denn es ist unzweifelhaft unbezahlbar, eine solche Printmenge einfach auf den Müll zu werfen, um dann die nächste Version zu entwickeln und zu drucken.

Dies ist natürlich ein rein pragmatisches Argument. Und es dient nicht der Wahrheitsfindung. Aber angesichts der zweifelsfrei nötigen Reformierung ist es nicht ignorierbar. Oder? Oder doch? Was meinen Sie?

Mit freundlichem Gruß

GT
Wer's nicht glaubt, wird selig
Robert Mugabe
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Beitrag von Robert Mugabe »

Gesprächstourist hat geschrieben: Und es vergingen keine drei Tage nach dem Beschluss, die RSR zu ratifizieren, da war das Geschrei zu hören! Von Leuten, die sich damit zuvor nie auseinandergesetzt hatten. Keine Ahnung von den Details hatten. Mit Argumenten und plakativen Widersinnigkeitsbeispielen kamen (viele davon stammten noch aus Entwürfen der ersten Fassungen!). Sie hatten sich nie damit auseinandergesetzt, waren aber hoch empört. Die Leute der verschiedenen Kommissionen waren übrigens darob sehr frustriert. Sie hatten öfters dazu aufgerufen, meinungen zu äußern. Es hat wirklich kaum jemanden interessiert.
- Lieber Herr Gesprächstourist!
Meiner vor drei Tagen ausgesprochenen Empfehlung, zur Geschichte der Rechtschreibreform einmal Heide Kuhlmanns Arbeit <a href="http://home.arcor-online.de/heide-kuhlm ... thographie und Politik</a> zu lesen, sind Sie offenbar noch nicht nachgekommen?
- Ich empfehle es Ihnen also noch einmal. Dringend. Insbesondere im Abschnitt "Reform und Öffentlichkeit" finden Sie eine Darstellung, die von so ziemlich allem, was Sie hier ausführen, das Gegenteil belegt.
Gesprächstourist
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Beitrag von Gesprächstourist »

Sehr geehrter Herr Mugabe,
Meiner vor drei Tagen ausgesprochenen Empfehlung, zur Geschichte der Rechtschreibreform einmal Heide Kuhlmanns Arbeit <a href="http://home.arcor-online.de/heide-kuhlm ... thographie und Politik</a> zu lesen, sind Sie offenbar noch nicht nachgekommen?
Ich muss mich natürlich vielmals entschuldigen.

In der Tat hatte ich unmittelbar nach Ihrem Linkhinweis hineingeschaut. Aber selbst als passionierter Gesprächstourist (was eine gewisse Affinität zum Lektürekonsum mit sich bringt), wurde mir schlagartig klar, dass ich die Zeit für zig Seiten in diesem Werk nicht adhoc würde aufbringen können, um Ihrem Wunsch termingerecht zu entsprechen. Ich beschloss daher, das Wochenende hinzuzunehmen.
- Ich empfehle es Ihnen also noch einmal. Dringend. Insbesondere im Abschnitt "Reform und Öffentlichkeit" finden Sie eine Darstellung, die von so ziemlich allem, was Sie hier ausführen, das Gegenteil belegt.
Ich habe mich nun, um Sie nicht über Gebühr zu enttäuschen, dieses Kapitel weitestgehend gelesen. Vorauszuschicken ist, dass ich an keinerlei Gremien oder Interessenverbänden beteiligt bin, selbst (s.o.) an der RSR Kritik angemeldet habe, nicht deren Anwalt bin und somit nicht von Befürwortern der RSR bezahlt werde (schade eigentlich, da käm' schon was zusammen...).

Gleichzeitig möchte ich darauf hinweisen, dass die pure Tatsache, dass eine Dame namens Kuhlmann eine, wenn auch ausführliche Schrift gegen die RSR verfasst, für mich nicht ein "Beleg" darstellt. Ich könnte eine Gegenschrift verfassen, wäre dies dann per se auch ein Beleg?

Was mir schon nach wenigen Sätzen auffiel, war der polemische Ton des Textes. An unzähligen Stellen wurden Fakten mit Mutmaßungen, Einschätzungen und Werturteilen miteinander verwoben. Dies ist höchst unwissenschaftlich und lässt in meinen Augen eher an eine Kampfschrift denn eine nüchterne fachliche Auseinandersetzung denken.

Die Problematik der Öffentlichkeitsdebatte zur RSR spiegelt sich stellvertretend in diesem Zitat aus dem von Ihnen empfohlenen Kapitel wider:

Hans Zehetmair, selbst an dem einen oder anderen Informationsdefizit leidend, stellte im Herbst 1995, als der Beschluß gefaßt werden sollte, fest: "Die breite Öffentlichkeit ist so gut wie gar nicht informiert. Gut ein Jahr später hieß es dann, über alles sei in den Medien ausführlich berichtet worden. Richtig ist: in den Medien ist reichlich berichtet worden, aber nicht umfassend, nicht ausführlich, oft schlicht falsch. Das vollständige Regelwerk, erst 1995 in einem linguistischen Fachverlag erschienen, ist nach Auskunft zweier daran Beteiligter schwer lesbar. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sich seine Formulierungen an der Gesetzessprache ausrichten.
Nicht ganz ohne Einfluss ist allerdings auch, dass viele Festlegungen Ergebnis von Kompromissen zwischen verschiedenen Ansätzen sind - und auch hier verderben viele Köche den Brei.


Was die "mangelnde Information" betrifft, so kann ich nicht behaupten, Chronist zu sein, ich weiß nicht, was Kuhlmann für Daten besitzt. Was ich weiß, ist, was ich selbst seinerzeit gelesen habe. Und die beabsichtigten Regeländerungen wurden z.B. ausschnittsweise in "meiner" regionalen Tageszeitung wiedergegeben. Ich weiß auch, dass es keinen Menschen interessierte. Und ich ließ mir dann die in dem Zeitungsartikel erwähnte Vorabinformation des Dudenverlags mit Beispielen kostenlos zuschicken. Die habe ich dann gelesen. Und fand sie zum Teil gut, zum Teil verwirrend.

Es ging aber noch weiter: Die gesamte Redaktion (mit Ausnahme des Chefredakteurs) einer Fachzeitschrift lehnte die Bestückung mit dieser Vorabinformation aus Desinteresse (!) ab, um sich zwei Jahre später maulend darüber auszulassen. Auf Nachfragen stellte sich eine totale Desinformiertheit heraus.

Von "Bürgerinitiativen", wie in dem Kuhlmann-Pamphlet angesprochen, habe ich (als interessierter Medienbeobachter) nichts mitbekommen (kann aber durchaus sein, dass es welche gab), wohl aber von dem Geschrei schlecht bzw. gar nicht Informierter, die das Thema bislang nicht interessiert hatte, nun aber ihre nicht vorhandenen Felle wegschwimmen sahen. Dann gab es ein paar Klagen, deren Urheber jedoch auch unzureichend informiert waren, wie ich diversen Interviews entnehmen konnte, es handelte sich dabei keineswegs um Spezialfälle, sondern um Neuerungen, die mehrere Jahre zuvor bereits in vielen Tageszeitungen gestanden hatten.

Eine "breite Öffentlichkeit" kann schlechterdings weder "umfassend" noch "ausführlich" informiert werden, weil die "breite Öffentlichkeit" sich seit Jahren weigert, Artikel, die über 20 Zeilen hinausgehen, überhaupt zu lesen. Hinzu kommt, dass die "breite" Öffentlichkeit nicht annähernd das Rüstzeug besitzt, um linguistische Details auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, die "schwere Lesbarkeit" (wohlgemerkt am Beispiel "zweier Befragter"!) liegt in der Natur der Thematik. Und so käme ich z.B. nicht auf die Idee, ein Werk über Quäntchenphysik auf Anhieb verstehen zu können. Übrigens aber auch nicht nach dem 300. Male.

Bemerkenswert ist aber auch, dass die Logik in dem von mir zitierten Ausschnitt gleich mehrfach Kapriolen vollzieht: Logischerweise muss bei einer solchen Reform immer ein Kompromiss (schließlich sind auch Österreicher und Schweizer beteiligt, außerdem geht es auch um Machbarkeit) stehen, dann wiederum wird eingeräumt, dass viele Köche des Hasen Tod sind.

Vorläufiges Fazit:
Eine wirklich "breite" Information wäre nur möglich gewesen, wenn in jedem Stadium der langjährigen Arbeit kostenlose Broschüren in alle Haushalte verteilt worden wären. Diese wären dann von 2 Prozent der Bevölkerung verstanden worden, und zumindest der Rest hätte sich über die bodenlose Geldverschwendung zu Recht aufgeregt. Und eine Arbeit an der eigentlichen Sache wäre gar nicht möglich gewesen.

Ich wünsche noch einen schönen Restsamstag.

Ihr GT

PS.: Entschuldigung, dass es ein wenig länger wurde, aber die gute Frau Kuhlmann hat auch nicht gerade an sich gehalten... typischer Fall von Schreibinkontinenz.
Wer's nicht glaubt, wird selig
Gast

Beitrag von Gast »

Damen und Herren!

Ich kann das Schulbuchargument nicht verstehen.
Waren die Verlage nicht froh über eine zusätzliche Neuauflage, die man ja jedem Buch antun konnte, auch wenn eine Neuauflage ansonsten nicht zu gerechtfertigen gewesen wäre?

Und stand nicht die besorgte Elternschaft als Garant für den Erfolg dieser Auflagen, weil man lieber ein paar Mark extra locker macht, damit der liebe Kleine nicht aus zweierlei, teilweise veralteten Schriften lernt und später
das Geld fürs Studium lieber in seinen 3er steckt?

Ähnlich wie jetzt mit den Mathebüchern-es gibt Aufregung darüber, daß manche Racker noch aus Mathebüchern instruiert werden, in denen der Begriff D-MARK vorkommt. Wo doch ab ca. 36 Monaten ein gewisses Abstraktionsvermögen einsetzt, und man dann eine Anzahl Äpfel grinsend an einer Anzahl hochgehaltener Finger wiedererkennt?Es gibt ja auch Bauern und Eier, und die sind vielen Kindern nicht so bekannt wie die D-Mark.

Sollten ihnen in meiner vorurteilsgeleiteten Milchmädchenrechung Widersprüche auffallen, wäre ich für einen Hinweis dankbar. 8O

Bin außerdem Anhänger von ß,ä,ö,ü und würde sofort die ÄÖÜ wählen, wenn es sie gäbe. Solange muß ich wohl mit der FPÖ vorliebnehmen.
Gesprächstourist
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Beitrag von Gesprächstourist »

Sehr geehrter Herr Anonymous,

vielen Dank für Ihren Beitrag.
Anonymous hat geschrieben:Damen und Herren!
Ich kann das Schulbuchargument nicht verstehen.
Waren die Verlage nicht froh über eine zusätzliche Neuauflage, die man ja jedem Buch antun konnte, auch wenn eine Neuauflage ansonsten nicht zu gerechtfertigen gewesen wäre?
So liegt es nahe in den Zeiten des ungebremsten Kapitalismus. Aber auch der hat seine Grenzen: Es würde funktionieren, wenn eine genügende Zahl an Exemplaren über den Ladentisch ginge. Das wäre aber in einer durch eine kurzfristig aktualisierte Neuauflage begrenzten Verkaufszeit einfach nicht machbar. Das zum einen.

Zum anderen: Hinter jeder Auflage eines Regelwerks steht eine ungeheure Menge Arbeit (ob sie gerechtfertigt ist und den Aufwand lohnt mal dahingestellt). Schulbuchverlage sind relativ gesunde Verlage, weil sie sich erstens nicht um den Markt kümmern müssen (die Abnehmer sind meist eh schon da, vereinfacht gesagt). Diese ziemlich schulbuchmäßige Kalkulatiojn funktioniert aber nur, wenn es bei den Prämissen bleibt: in etwa gleiche Absatzzahlen bei in etwa gleichen Aufflagezahlen bei in etwa gleichen Produktionskosten bei in etwa gleichen Verkaufspreisen.

Gerät einer dieser Faktoren außer Kontrolle, ist es Essig mit der Kalkulation. Dies zum Beispiel hätte eine Zurücknahme der RSR sein können: zig Millionen Euro (Mark) für die Entwicklung, das Lektorat, den Druck etc. für eine nach oben von vornherein begrenzte Zahl von Verkaufsexemplaren im Falle einer Revision.

Dasselbe gilt für die Abnehmer (zum großen Teil staatliche!): Auf einmal ist das neu gekaufte Werk nur noch ein oder zwei Jahre gültig! Oder gar nicht mehr. Wer könnte sich eine weitere RSR-Umstellung nach kurzer Zeit leisten, wo es um ein unglaublich umfangreiches Regelwerk geht?

Wer bezahlt nun die neuen Lehr- und Lernmittelhilfen, die gerade erst erstellt wurden? Nee, so schnell ist kein Konsument bereit, das neue erstandene Werk auf den Geschichtsmüll zu werfen.

Das Ganze erhielt eine ökonomische Eigendynamik, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.

Wohlgemerkt: Es handelt sich hierbei nicht um meine Meinung! Nur um die der Verlagswirtschaft zugrunde liegenden Marktgesetze.

Für die Schulbuch- und Regelwerkverlage (die viele Millionen Exemplare sofort einstampfen müssten) stellt sich die Frage anders als für SuperLupo oder FAZ, letztere können recht problemlos umstellen. Eine Schreibweisenregelung mit Instruktion für den Schlussredakteur würde genügen.
Und stand nicht die besorgte Elternschaft als Garant für den Erfolg dieser Auflagen, weil man lieber ein paar Mark extra locker macht, damit der liebe Kleine nicht aus zweierlei, teilweise veralteten Schriften lernt und später das Geld fürs Studium lieber in seinen 3er steckt?
Da bin ich wirklich überfragt. Ich weiß es nicht.

Aber es leuchtet (bezüglich der RSR) nicht ein.

Da mögen verschiedene Partikularinteressen eine Rolle gespielt haben. Ich denke jedoch: Insgesamt war irgendwann der Würfel gefallen, alles mit den Produzenten der "Sprachwirtschaft" abgesprochen und -gesegnet. Und ein Rückzug aufs Alte wäre ökonomisch nicht mehr machbar gewesen.

Wissen Sie, wie viele Regelwerke es gibt? Nein?

Ich auch nicht.

Aber es sind unglaublich viele mit einer unglaublich hohen Auflage.

Davon könnten wir beide sehr gut leben.

Stampft man diese nach 2 oder 3 Jahren ein? Nein.
Ähnlich wie jetzt mit den Mathebüchern-es gibt Aufregung darüber, daß manche Racker noch aus Mathebüchern instruiert werden, in denen der Begriff D-MARK vorkommt. Wo doch ab ca. 36 Monaten ein gewisses Abstraktionsvermögen einsetzt, und man dann eine Anzahl Äpfel grinsend an einer Anzahl hochgehaltener Finger wiedererkennt?Es gibt ja auch Bauern und Eier, und die sind vielen Kindern nicht so bekannt wie die D-Mark.
Ein interessantes Beispiel. Und so anschaulich!!

Nur: Hier fällt doch die Frage, ob es D-Mark oder Euro sind, ökonomisch nicht annähernd so ins Gewicht. Oder? Hm. Muss drüber nachdenken. Morgen... vielleicht.
Sollten ihnen in meiner vorurteilsgeleiteten Milchmädchenrechung Widersprüche auffallen, wäre ich für einen Hinweis dankbar.
Ich fand Ihre Argumentationsführung durchaus naheliegend. Na ja, die Sache mit den Bauern und den Eiern hätte nicht sein müssen, aber ... ach was, vergessen wir das... Widersprüche konnte ich nur erahnen, werde sie deshalb in meinem Hause zur Prüfung weitergeben...
Bin außerdem Anhänger von ß,ä,ö,ü und würde sofort die ÄÖÜ wählen, wenn es sie gäbe.
Aber sofort, bitteschön!

Das ist schließlich meine Partei, und ich möchte auch mal was zu sagen haben. Vor allem: verdienen.
Solange muß ich wohl mit der FPÖ vorliebnehmen.
Auch keine schlechte Wahl.

Küss die Hand

GT
Wer's nicht glaubt, wird selig
Schornscheinschleger

Beitrag von Schornscheinschleger »

Lieber Gesprächstourist!
Aufgrund Ford-geschrittener multipler gespaltener Persönlichkeiten schreibe ich nicht immer unter gleichem Namen, aber ich habe auch die KAHNalyse im Fußballtopic verfasst.
Schade daß dieser autoritäre Grenzer die Diskussion offiziell beendet hat, mit einem antidefätistischen Schutzwort, das das Topic zum Todesstreifen
erklärt, sozusagen.
Gestatten sie mir eine Denkpause nach diesem weithergeholten Vergleich.

Potzblitz, dachte ich mir eigentlich, als ich ihre von hoher Frömmigkeit zeugenden genialischen Aussagen las, wie nützlich doch der Gesprächstourismus in den richtigen Händen sein kann!
Und sowieso vielen dank für die Blumen, sie konnten sicherlich nicht wissen, daß meine Frau auf alles allergisch ist, was aus Holland kommt.

flüsternd Daß Kahn auch ganz ohne Hand weitergespielt hätte, hätt' ich beinah selbst schon geschrieben-ich dachte, das wäre zu platt-aber es ist so schön formuliert, ich muß einfach consentiren, fürwahr.

Äh-Sooo, hier wird nur über RSR geredet, ja, gehen sie bitte weiter, es gibt nichts zu sehen.
Ich befürchte beinahe sie haben vermissstanden (3s), was die Schulbücher angeht.
Ich meinte: ein Buch, das nicht der andauernden regelmäßigen Überarbeitung bedarf (ein Deutschbuch z.B., da ändert sich wenig, Geschichte weitestgehend, Musik, Mathe eben auch), sollte seine Neuauflage nicht alle 2 Jahre erfahren.

Wenn die Verlage das dennoch tun, um mich ihrem Kostenargument zu nähern, dann können sie ja 1.mit einer relativ sicheren Abnahme einer gewissen Anzahl rechnen (die ja nicht auf dem Gebrauchtbüchermarkt vorhanden sein kann), und 2. die Kosten für diese Auflage eben dadurch verringern, daß so gut wie nichts Neues dazukommt.
Leider (glücklicherweise) bin ich nicht betriebswirtschaftlich genug, um zu wissen wie viele Jahre wirklich ins Land gehen müssen, bis sich die Neuauflage gelohnt hat-ich hoffe, daß die Kostenminimierung durch "nichtvieländern" ausreicht.

Aus meiner noch relativ nahen Schulvergangenheit (oha!) weiß ich aber noch lebhaft, wie der Ankauf mancher Bücher vom Jahrgang vorher nicht möglich war, weil sich auf der Schulbuchliste eben eine "aktualisierte" oder eben "neue" Auflage befand. Und da manch Uninteressierter (Uninformierter) es dennoch tat, boten sich da Vergleichsmöglichkeiten:
Im Mathebuch waren Aufgaben vertauscht und verschoben worden, manchmal sogar Zahlen geändert, und die Umschlagfarbe hatte sich ein wenig dem Zeitgeschmack angepasst. Sonst aber effektiv NICHTS.

Kurz, in manchen anderen Büchern verhielt es sich ganz ähnlich. Und das merkten sogar Eltern, und weil so ein Schuljahresbeginn bei 2 Kindern mal mit 800 Mark zu Buche schlug, war man darüber nicht erfreut.
Das ging soweit, bestimmte Bücher aufgrund mangelnden Nutzens auch gar nicht anzuschaffen.

Mit der RSR kann ich mir aber sehr gut vorstellen, daß besorgte Eltern ihren Kindern eben die "Reine Lehre" zur Verfügung stellen wollen, und deshalb
eben wirklich ALLES in Neusprech(tm) anschaffen, somit also gerne investieren. Meine sehr geringen Erfahrungswerte widersprechen dem nicht.

Und die Verlage konnten diese Stunde Null sozusagen dadurch ausnutzen.
Es reichte ja, alles durch den Umschreib-o-mat (tm) zu jagen, und man hatte seine Neuauflage legitimiert. Und beim Euro eben so ähnlich. Anstatt die Mark nach und nach zu ersetzen, wird alles neu ge-eurot, um Gebrauchtmaterial aus dem Verkehr zu ziehen.

Wahrscheinlich habe ich sie und die Welt da Miss Baden-Württemberg, oder zumindest miss verstanden, ich kenne meine Argumentationen.
Ich meine eben(Rücknahmerisiken mal ausgeklammert), daß das simple umschreiben Nichtregelvermittelnder Bücher ein zusätzliches Verkaufsargument liefert, daß jeder um sein Kind Besorgte anerkennt, ebenso die institutionellen Verfechter der RSR (ähnlich beim Euro).Und daß dieses Verkaufsargument eben "Überhangnachfrage" (wenn man das so nennen kann) schafft. So ähnlich, wie wenn es bald nur noch Erdgas-Zapfsäulen gäbe. Otto-Normalraser muß dann einfach EINE neue Kiste anschaffen, egal wie sehr er an der Alten hängt.
Klingt beinahe, als würde ich gegen seine Frau polemisieren...

Um dem ganzen ein Ende zu bereiten, schalte ich jetzt den Milchmädchenrechner aus und hoffe, daß ihre interne Revisionsabteilung
nicht zum Abschreiben übergegangen ist.ÄÖÜ-hü (so als Wahlkampfmotto?)
8O
Gesprächstourist
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Beitrag von Gesprächstourist »

Lieber Herr Schornscheinschleger (schöner Name eigentlich, muss ich mir merken),

hatte schon etwas zu Ihrem blitzsauberen Artikelchen geschrieben, aber als ich dies abschicken wollte, machte die Forumssoftware schlapp. Schon zum zweiten Mal.

Daher nur ein Paar Worte jetzt und morgen ein paar mehr.
Schornscheinschleger hat geschrieben:Lieber Gesprächstourist!
Aufgrund Ford-geschrittener multipler gespaltener Persönlichkeiten schreibe ich nicht immer unter gleichem Namen, aber ich habe auch die KAHNalyse im Fußballtopic verfasst.
Aha. Sie waren dies also. Schämen Sie sich eigentlich nicht? War nur 'ne Frage.
Schade daß dieser autoritäre Grenzer die Diskussion offiziell beendet hat, mit einem antidefätistischen Schutzwort, das das Topic zum Todesstreifen erklärt, sozusagen.
Ein unerhörter Vorgang. Aber ich kenne kaum einen Schmerz. Äh, welchen Grenzer meinen Sie eigentlich? Den hessischen?
Gestatten sie mir eine Denkpause nach diesem weithergeholten Vergleich.
Mir bitte auch. Ich muss noch eine Mütze Schlaf nehmen, wie weiland unser großer deutscher Dichter May bereits den Trappern um Winnetou herum angedichtet hat (Trapper sprechen angeblich so, aber unter uns: Die haben alle einen an der Mütze).

Um aber gleich noch einen großen Irrtum auszuräumen:
Potzblitz, dachte ich mir eigentlich, als ich ihre von hoher Frömmigkeit zeugenden genialischen Aussagen las, wie nützlich doch der Gesprächstourismus in den richtigen Händen sein kann!
Da muss ich doch etwas korrigieren. Genialisch klingt sehr gut, genial käme der Sache aber näher. Möchten Sie meine Autogrammkartenadresse?

Fromm bin ich übrigens eher seltener.
Und sowieso vielen dank für die Blumen, sie konnten sicherlich nicht wissen, daß meine Frau auf alles allergisch ist, was aus Holland kommt.
Heiß ich Rudi? Da muss ein Missverständnis vorliegen.
flüsternd Daß Kahn auch ganz ohne Hand weitergespielt hätte, hätt' ich beinah selbst schon geschrieben-ich dachte, das wäre zu platt-aber es ist so schön formuliert, ich muß einfach consentiren, fürwahr.
extremleiseIch bin Ihnen sowas von dankbar. Die Wände haben hier Öhren!

So, nun heißt es aber Abschied nehmen. Die anderen, natürlich substantiell enorm relevanten Passagen werde ich morgen, also heute, beantworten. Ha, ich freue mich schon.

Ihr GT
Wer's nicht glaubt, wird selig
Robert Mugabe
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Beitrag von Robert Mugabe »

Gesprächstourist hat geschrieben:Gleichzeitig möchte ich darauf hinweisen, dass die pure Tatsache, dass eine Dame namens Kuhlmann eine, wenn auch ausführliche Schrift gegen die RSR verfasst, für mich nicht ein "Beleg" darstellt. Ich könnte eine Gegenschrift verfassen, wäre dies dann per se auch ein Beleg?

Was mir schon nach wenigen Sätzen auffiel, war der polemische Ton des Textes. An unzähligen Stellen wurden Fakten mit Mutmaßungen, Einschätzungen und Werturteilen miteinander verwoben. Dies ist höchst unwissenschaftlich und lässt in meinen Augen eher an eine Kampfschrift denn eine nüchterne fachliche Auseinandersetzung denken.
Heide Kuhlmann ist Magistra Artium der Politologie, 'Orthographie und Politik' war ihre Magisterarbeit. Mein Ausdruck ist rund 140 A4-Seiten lang, das 19 Seiten lange Quellenverzeichnis umfaßt gut 400 Bücher, Zeitungsartikel, Presseerklärungen und amtliche Mitteilungen. Auf weiteren 19 Seiten werden die genauen Belegstellen für insgesamt 515 im Text vorkommende Zitate angegeben.
Ich halte Kuhlmanns Darstellung nach wie vor für zutreffend und glaube, lieber Gesprächstourist, daß - was die Geschichte der Rechtschreibreform in den 90er Jahren angeht - es eher Ihre Erinnerung ist, die Sie hier trügt.
Gesprächstourist hat geschrieben:Von "Bürgerinitiativen", wie in dem Kuhlmann-Pamphlet angesprochen, habe ich (als interessierter Medienbeobachter) nichts mitbekommen (kann aber durchaus sein, dass es welche gab), wohl aber von dem Geschrei schlecht bzw. gar nicht Informierter, die das Thema bislang nicht interessiert hatte, nun aber ihre nicht vorhandenen Felle wegschwimmen sahen.
Eine ausführliche Chronologie der Bürgerinitiativen, Aufrufe, Volksbegehren (darunter das erfolgreiche in Schleswig-Holstein 1996/97!), gerichtlichen Klagen und Urteile, Parlamentsdebatten und Wissenschaftlerproteste findet sich im Anhang von Kuhlmanns Arbeit. Der Text der von (bis Mai 1998) 550 Professoren der Sprach- und Literaturwissenschaft unterzeichneten <i>Erklärung zur Rechtschreibreform</i> sei hier kurz nachgetragen:

<i>Die sogenannte Rechtschreibreform "entspricht nicht dem Stand sprachwissenschaftlicher Forschung" (so die Deutsche Gesellschaft für Sprachwissenschaft am 3. März 1998); sogar die Rechtschreibkommission der Kultusminister hat in ihrem Bericht vom Dezember 1997 wesentliche Korrekturen als "unumgänglich" bezeichnet.
Eine derart fehlerhafte Regelung, die von den bedeutendsten Autoren und der großen Mehrheit der Bevölkerung mit guten Gründen abgelehnt wird und die Einheit der Schriftsprache auf Jahrzehnte zerstören würde, darf keinesfalls für Schulen und Behörden verbindlich gemacht werden.</i>

Davon, daß das <a href="http://www.ids-mannheim.de/reform/dokum ... html">neue Regelwerk</a> fehlerhaft und mißlungen und in der Tat schwer lesbar ist (Kuhlmann schreibt, daß es zwei an der Erstellung des Regelwerks <i>Beteiligte</i> waren, die das gesagt haben, nicht: <i>Befragte</i>. Da haben Sie sich verlesen), kann sich jeder leicht selbst überzeugen, wenn er etwa nur die Paragraphen 34-36 liest. <b>Wie</b> schwer verständlich allein die sind, illustriert vielleicht am besten der erste Reformduden von 1996: Darin nämlich wurden sie so ausgelegt, daß zum Beispiel <i>wiedersehen</i> in der neuen Rechtschreibung nur mehr getrennt als <i>wieder sehen</i> geschreiben werden dürfe (in der nächsten Auflage wurde das - und einiges andere mehr - dann stillschweigend korrigiert).

Wenn im Verlauf einer Reform, in der es angeblich einzig und allein um Vereinfachung geht, zwei der Reformer eingestehen, daß dieses Vereinfachung nicht gelungen ist, so muß es in einer wissenschaftlichen Arbeit über diese Reform erlaubt sein, das zu erwähnen. <a href="http://home.arcor-online.de/heide-kuhlm ... thographie und Politik - zur Genese eines irrationalen Diskurses</a> ist - ich bleibe dabei - eine wissenschaftliche Arbeit. Allen, die wissen wollen, worum es in der Rechtschreibreform jenseits aller orthographischen Einzelheiten wirklich ging, sei sie hiermit noch einmal empfohlen.
Schönschweinpfleger

Beitrag von Schönschweinpfleger »

Lieber Diskursrundeisender
Nur soviel, da ich gerade einer Leerveranstaltung beisitze:

Haben sie so schon wieder vergessen, wer von Kahn eine Entschuldigung ans Volk gefordert hat???
Wieso soll ich mich schämen?

Irgendwie haben sie aber recht-schon seit Jahren traue ich mich nicht mehr unverschleiert vor die Tür. Sollte man das meinem Stil anmerken?
Womit ich direkt zum nächsten Punkt komme: ich wollte ihnen weder Frömmigkeit noch Käsefüße unterstellen.
Ich habe mich einfach verbal aus dem Fenster gelehnt, um zu sehen ob sie wirklich der holländische Gegenpapst sind, aber inzwischen bin ich beruhigt.

Die Allergie bezog sich sowieso auf die Blumen-kommen die nicht alle aus Holland?

Ein unerhörter Vorgang. Aber ich kenne kaum einen Schmerz. Äh, welchen Grenzer meinen Sie eigentlich? Den hessischen?
Ja, den Hessen-Grenzer meinte ich tatsächlich, aber er hat ja nicht geschossen auf ihren Beitrag nach seinem basta. Also alles halb so schlimm?
Mitnichten.
Die Welt strebt stetig ihrem Untergang entgegen.

Wie darf ich sie eigentlich in meiner (bald erscheinenden) Gesprächstourist-Biographie charakterisieren??
"Ich kenne kaum einen Schmerz" oder "Ich bin Schmerz-Experte"??
Am Besten wahrscheinlich für jede Persönlichkeit eine Extra-Bio.
-grafie, nicht -lek. Pfui.
Ich muß weg 8O
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hessen-oberverdachtsschöp
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Beitrag von hessen-oberverdachtsschöp »

Aha! hier wird also heimlich weiter über Kahn diskutiert.
Sofort aufhören damit!
mein Name ist übrigens hessen-oberverdachtsschöpfer,
wieso werden hier die letzten 3 Buchstaben abgeschnitten, eine Frechheit ist das!
Gesprächstourist
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Beitrag von Gesprächstourist »

Lieber Herr Schornscheinschleger (der Schönschweinpfleger kommt erst später dran),

wir müssen nun sehr vorsichtig sein. Der Hessen-wohin-auch-immer ist uns auf die Schliche gekommen. Deshalb werde ich hier auch kein Wort über den besten mutierten Fliegenfänger Münchens (zumindest Haidhausens wahlweise Garchings) verlieren, sondern streng beim Thema, sprich: der zweiten Hälfte Ihres gestrigen Beitrags bleiben, bevor ich dem großen Diktator (sieht aus wie ein Bruder des großen Pavians) entgegentrete.
Ich befürchte beinahe sie haben vermissstanden (3s), was die Schulbücher angeht.
Ich meinte: ein Buch, das nicht der andauernden regelmäßigen Überarbeitung bedarf (ein Deutschbuch z.B., da ändert sich wenig, Geschichte weitestgehend, Musik, Mathe eben auch), sollte seine Neuauflage nicht alle 2 Jahre erfahren.
Ja und nein, jein eben. Zwar ist es richtig, dass z.B. naturwissenschaftliche, von Innovationen abhängige Werke öfter einer Aktualisierung bedürfen, dieser Aufwand entspricht jedoch nicht ansatzweise dem Umfang einer Änderung, die die RSR nach sich zieht.

Es geht dabei schließlich um ALLE deutschsprachigen Publikationen, d.h.: Wenn sich z.B. in der Mathematik etwas ändert, muss ein Teil der Mathematikbücher neu geschrieben werden. Ändert sich jedoch eine Schreibregelung, müssen alle Mathematikbücher, alle Biologiebücher, alle Geschichtsbücher , also alles, was ganz oder nur teilweise in deutscher Sprache geschrieben ist, neu aufgelegt werden. Und nur wegen sprachlicher Veränderungen! Nicht "nur" der Duden. Schließlich kann ein Kind nicht in einem Mathebuch eine andere Schreibregel vorfinden als in einem Geschichtsbuch...
Wenn die Verlage das dennoch tun, um mich ihrem Kostenargument zu nähern, dann können sie ja 1.mit einer relativ sicheren Abnahme einer gewissen Anzahl rechnen (die ja nicht auf dem Gebrauchtbüchermarkt vorhanden sein kann), und 2. die Kosten für diese Auflage eben dadurch verringern, daß so gut wie nichts Neues dazukommt.
Zu 2.: Man kann nicht "ein bisschen" Buch erneuern, ein paar seiten rausschneiden und andere wie SuperLupo-Fußballbildchen (huch, jetzt habe ich mich doch glatt verplaudert, hoffentlich merkt's der Block-, äh Torwart nicht) reinkleben.

Zu 1.: Allein der Duden ist eines der meistverkauften Bücher im deutschen Sprachraum. Dies klänge zunächst wie eine gute Voraussetzung für einen kommerziellen Geniestreich. Jedoch kann man weder offiziellen Stellen (z.B. Kultusministerien) oder gewerblichen (Sekretariaten, Redaktionen etc.) und schon gar nicht privaten (Haushalten) klarmachen können, warum man sich 1996 den neuen Duden kaufen soll, um anschließend den aktualisierten neuen Duden (2 Jahre später) zu erwerben, um anschließend durch den Sturz der RSR in den alten Stand versetzt zu werden. Um sich dann womöglich noch eine aktuellere Fassung (denn die alte RSR gehörte in jedem Fall aktualisiert) des alten Duden anbieten zu lassen.

Und das – wie gesagt – betrifft nur den Duden, gebe ich zu bedenken. Unvorstellbar, wenn dies aber auch die gesamte Literatur (s.o.) beträfe. Abgesehen von dem heillosen Durcheinander, den ein Hin und Her verursacht hätte.

Nachdem die RSR abgesegnet war (auch wenn's kein Segen war), war die Sache gelaufen. Möglicherweise wurden beim Prozedere zuvor Fehler gemacht, ich gehe davon aus. Wo werden keine gemacht? (s. Kahn, huch...)
Leider (glücklicherweise) bin ich nicht betriebswirtschaftlich genug, um zu wissen wie viele Jahre wirklich ins Land gehen müssen, bis sich die Neuauflage gelohnt hat-ich hoffe, daß die Kostenminimierung durch "nichtvieländern" ausreicht.
Ich bin auch kein passionierter Betriebswirt, gebe deshalb in Wirtschaften grundsätzlich viel zu viel aus. Aber bei diesem wahnwitzigen Umfang braucht man keinen Taschenrechner.
Aus meiner noch relativ nahen Schulvergangenheit (oha!) weiß ich aber noch lebhaft, wie der Ankauf mancher Bücher vom Jahrgang vorher nicht möglich war, weil sich auf der Schulbuchliste eben eine "aktualisierte" oder eben "neue" Auflage befand.
Völlig klar. Im Fall einer Schreibregelung muss die gesamte deutschsprachige Literatur umgeschrieben werden. Im Prinzip – natürlich nicht die Grass-, Böll- oder Wallraff-Bücher, aber alles, was einem aktuellen Anspruch standhalten muss. Gebrauchsanweisungen von Videorekordern möchte ich mal ausnehmen, hier hat die Praxis gezeigt, dass es egal ist, was und wie geschrieben wird.
Und da manch Uninteressierter (Uninformierter)

Ohmeingott, Uniformierte? Ist Herr hessen-wohin schon wieder in der Nähe?
es dennoch tat, boten sich da Vergleichsmöglichkeiten:
Im Mathebuch waren Aufgaben vertauscht und verschoben worden, manchmal sogar Zahlen geändert, und die Umschlagfarbe hatte sich ein wenig dem Zeitgeschmack angepasst. Sonst aber effektiv NICHTS.
1. s.o.

2. Ändern sich auch der Umschlagtext und die -farbe nicht, so muss dennoch der ganze Umschlag neu gedruckt werden. Wiederverwendbare Umschläge gibt es bislang noch nicht, wäre aber eine gute Idee.
Mit der RSR kann ich mir aber sehr gut vorstellen, daß besorgte Eltern ihren Kindern eben die "Reine Lehre" zur Verfügung stellen wollen, und deshalb eben wirklich ALLES in Neusprech(tm) anschaffen, somit also gerne investieren.
Wie gesagt, die Kosten wären horrend. Und da hören die Eltern auch auf, besorgt zu sein. In manchen Familien können sich die Eltern schon jetzt kaum mehr lesiten, die Unterrichtsmaterialien der Kleinen zu bezahlen. Deshalb lernen die auch nichts und laufen in Hosen rum, die viel zu weit und im Schritt viel zu tief sind.
Und die Verlage konnten diese Stunde Null sozusagen dadurch ausnutzen.
Ich hätte viel darum gegeben mitzuerleben, was für Wutausbrüche von Wirtschaft, Kultusministerien und Eltern auf die Rereformer zugekommen wären, der Mars wäre wahrscheinlich kein sicherer Ort gewesen...

Wohlgemerkt, das ist kein Argument für oder gegen die RSR, es ist eine nüchterne Darstellung der Problematik nach ihrer definitiven Einführung. Und eine Erklärung, warum es schlechterdings unmöglich war und ist, diese Entscheidung posthum zurückzunehmen.
Es reichte ja, alles durch den Umschreib-o-mat (tm) zu jagen, und man hatte seine Neuauflage legitimiert. Und beim Euro eben so ähnlich. Anstatt die Mark nach und nach zu ersetzen, wird alles neu ge-eurot, um Gebrauchtmaterial aus dem Verkehr zu ziehen.
Das ist eine gute Idee.

Man könnte aber auch jedem Haushalt einen Scanner mit einer OCR-Software schenken, die alles Schriftum aus neuer in alte RSR konvertiert.
Um dem ganzen ein Ende zu bereiten, schalte ich jetzt den Milchmädchenrechner aus und hoffe, daß ihre interne Revisionsabteilung nicht zum Abschreiben übergegangen ist.ÄÖÜ-hü (so als Wahlkampfmotto?) 8O
Nicht schlecht, aber ich halte es da doch eher mit 18,0. Da weiß man, was man nicht hat.

Grüße

Ihr GT
Wer's nicht glaubt, wird selig
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